Unbedingt sehenswert: 10 Milliarden – Wie werden wir alle satt? von Valentin Thurn
Wir meinen es doch nur gut
Auch im wirklichen Leben gibt es Trolle. »Das ist doch alles hundert Jahre alt!«, empört sich ein älterer Herr im Publikum. »Können Sie nicht mal was Neues zeigen?« Der Regisseur blinzelt freundlich. Als der Herr vorschlägt, die Weltbevölkerung irgendwie zu dezimieren, geht ein Stöhnen durch die Reihen. Diese Äußerung in einem deutschen Kinosaal: geht gar nicht. Doch Valentin Thurn bleibt höflich: »Die weltweite Vernichtung kleinbäuerlicher Strukturen war vor hundert Jahren noch keineswegs im Gang«, kontert er. Fast vierzig Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten vor hundert Jahren in der deutschen Landwirtschaft. Anfang der 50er Jahre waren es etwa vierundzwanzig Prozent. Heute sind es gerade noch zwei Prozent (Quelle: Info Medien Agrar). Derselbe Prozess, so sehen wir bei der Preview von Thurns Film, wird derzeit von mächtigen Interessengruppen in Indien und Afrika vorangetrieben. Seit Anfang des neuen Jahrhunderts immer schneller und mit dem immer gleichen Argument: »Wir wollen in Zukunft 10 Milliarden Menschen ernähren.« Mit unfassbarer Treuherzigkeit rechtfertigen die Protagonisten einer industrialisierten Lebensmittelproduktion ihr Tun. Der Forscher, der Stammzellen vom Rind zu einer gallertartigen Masse vermehrt und zum (noch) 250 000 Euro teuren Burger brät, will ebenso der guten Sache dienen wie das Paar, das dem Genom ihrer Zuchtlachse nur ein einziges Gen hinzugefügt hat, worauf diese schneller größer und fetter werden als die unbehandelte Kontrollgruppe.
Wieso ausgerechnet 10 Milliarden?
Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf zehn Milliarden Menschen anwachsen. Frage aus dem Publikum: »Wieso gerade diese Zahl?« Hätten nicht Bill Gates, aber auch dessen Kritikerin Marie-Monique Robin, erst kürzlich noch von neun Milliarden gesprochen? »Die Demographie ist eine der zuverlässigsten Wissenschaften«, entgegnet Thurn, »diese Zahl ist der neueste Stand.« Thurn hat Geographie, Politik und Ethnologie studiert, bevor er sich zum Journalisten hat ausbilden lassen. Seit er mit seinem Dokumentarfilm »Taste The Waste« (2011) hinter die Kulissen des Lebensmittelkonsums geschaut hat, nennt er sich auch Food-Fighter. Wie gut er sein Handwerk versteht, spürt man daran, dass man sich nach seinen Filmen nicht die Kugel geben will, sondern widerständig wird – und sei es im Kleinsten. Kamera, Schnitt, Kommentierung skizzieren komplexe Zusammenhänge leicht verständlich ohne sie zu simplifizieren. Der Blick auf die Protagonisten ist stets liebevoll, egal ob es sich um einen indischen Geflügelproduzenten-und Wiesenhof-Nachahmer handelt oder um einen den eigenen Grund durchpflügenden Öko-Lobbyisten. Unbedingt anschauen! Kinostart ist der 16.April 2015.
Und hier die Links:
Die französische Journalistin Marie-Monique Robin weist immer wieder auf die zwielichtige Rolle hin, die die Bill und Melinda Gates Stiftung bei der Verdrängung von Kleinbauern spielt
Wikipedia über Valentin Thurn
Du willst zur offiziellen Homepage des Filmes?
Veröffentlicht am 12.04.2015