Als Krankheitserreger bekämpft, als Mikrobiom geliebt – endlich erkennen wir die wohlwollende Natur von Bakterien, Viren und Pilzen
Du bist nicht allein
Der Mensch soll 100 Billionen Körperzellen besitzen. Nimmt man das Ganze mal zehn, hat man die Zahl der Mikroben, die auf und im Körper leben. Das ist eine Billiarde, eine Zahl mit 15 Nullen. (Wenn du das einordnen möchtest, guckst du bei Gubi). Mit einem Gewicht von anderthalb Kilogramm wiegt das Mikrobiom – das ist die Gesamtheit der mit dem Menschen ko-existierenden Bakterien, Viren und Pilze – etwa 200 Gramm mehr als ein durchschnittliches Gehirn.
DNA-Sequenzierung sei Dank
Dass unser Mikrobiom eher wohlwollender Natur ist, dämmert den Wissenschaftlern erst seitdem sie die DNA-Sequenzierung beherrschen. Mit Hilfe der Technologie lässt sich die Identität eines Bakterienstammes rechnergestützt entschlüsseln – anhand winzigster DNA-Schnipsel. In einen Zahlencode gegossen, wird der Steckbrief in einer Genbibliothek archiviert und bei Bedarf abgefragt. Seit etwa sieben Jahren machen weltweit Experten aus ganz unterschiedlichen Sparten davon Gebrauch: Informatiker, Mediziner, Pharmakologen, Architekten oder Anthropologen. Das Sequenzieren erlaubt einen völlig neuen Blick auf das uns unsichtbar umgebende Gewimmel. Viele Bakterien können erst jetzt entdeckt werden, weil sie unmöglich in einem Labor zu züchten sind. Das betrifft etliche Darmbakterien, die nur unter Ausschluss von Sauerstoff gedeihen. Aber auch Vertreter wie zum Beispiel die sogenannten Archebakterien, von denen einige Stämme in der Tiefsee am Fuss von schwarzen Rauchern leben und sich vom hochgiftigen Gas Schwefelwasserstoff ernähren.
Overselling the Microbiome
Wenn man bei Youtube den Begriff »feces transplant« (zu deutsch: Stuhltransplantation) eingibt, poppen etwa 2400 »Do it yourself«-Beiträge auf. Es ist erwiesen, dass eine vom Krankenhauskeim Clostridium difficile ausgelöste und schwer behandelbare Durchfallerkrankung geheilt werden kann, indem man den Kot eines gesunden Spenders überträgt (weiterführende Links unten). Das weckt Hoffnungen: chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa, Allergien, Übergewicht, ja sogar Schizophrenie oder Autismus, sollen sich durch eine Kotspende positiv beeinflussen lassen. Jonathan Eisen, der als einer der führenden Köpfe in der Erforschung des Mikrobioms gilt, sieht den Hype skeptisch. Der Evolutions-Biologe hat einen Preis auf die dreisteste Behauptung ausgesetzt: den »Overselling the Microbiome«-Award. Noch stecke die Forschung in den Kinderschuhen, wird der gefragte TED-Talker nicht müde zu betonen, es stehe noch lange nicht fest, ob das Auftreten bestimmter Bakterien die Ursache oder die Folge eines gesunden Lebensstils sei.
Rethinking Robert
Man muss Robert Koch, den Begründer der Bakteriologie, nicht gleich »verrückt« nennen, wie es in einem Beitrag in einem der unzähligen »Microbiome-Blogs« zu lesen war. Doch mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, dass man das Wesen von Bakterien, Viren und Pilzen nicht aus der Perspektive von Kampf und Vernichtung verstehen kann – ganz im Gegenteil. Wir sind nicht getrennt von unserem Mikrobiom, sondern wir SIND es (in gewisser Weise). Mag auch die Begeisterung der Enthusiasten vielfach über das Ziel hinausschießen, ansteckend ist sie schon. Einige Erkenntnisse sind so verblüffend, dass sie alles über den Haufen werfen, was wir jemals über Reinlichkeit und Hygiene zu wissen glaubten. Ein gutes Beispiel dafür ist der bakterielle Fingerabdruck. Man weiß inzwischen, dass wir unser Mikrobiom überall mit hin nehmen. Bereits 24 Stunden, nachdem wir ein Hotelzimmer bezogen haben, hat sich unser ganz persönliches Mikrobiom dort angesiedelt. Du willst mehr wissen? Du bist nur wenige Klicks davon entfernt.
Und hier die Links:
Spiegel: Der Mensch zieht mit seinen Bakterien um
DNA-Sequenzierung – aufs Erfrischendste erklärt von MINT – Studieren mit Meerwert
Alles, was du über Schwarze Raucher und Archaebakterien wissen musst, findest du hier
Der Darm, das unbekannte Wesen – eine brillante Darstellung von Susanne Billig und Petra Geist/ Deutschlandradio Kultur (zum Hören und Lesen)
Dass Stuhl- oder Kottransplantationen im deutschen Mainstream angekommen sind, entnimmt man N-TV
Wie so oft, findet man die besten Artikel in der New York Times: »There is no Healthy Microbiome« oder im New Yorker: »The Excrement Experiment«
Auch super spannend unter TED Ideas: »It’s all around us – three scientists on how the microbiome shapes our world«
Jonathan Eisen bei TED (Transcript), Jonathan Eisens Lab/Blog, Jonathan Eisens »Overselling the Microbiome-Award«
Zwei spannende Blogs: Mein Mikrobiom und ich und The Human Food Project – Anthropology of Microbes
Plastik fressende Mikroben im Darm von Maden – FAZ-Artikel
Veröffentlicht am 10.12.2014
Interessant auch dies hier zum Thema:
http://microbirth.com
Hallo Kirstin,
super Beitrag! Das ist wirklich spannend und macht irgendwie Sinn.
Ich bin ja mittlerweile ein echter Fan deines Blogs! Vielen Dank für all die tollen Infos und Anregungen.
Entspannte und besinnliche Weihnachten und
liebe Grüße aus Ottensen
Sabine
Liebe Sabine, freut mich natürlich, dass dir mein Blog gefällt….bringt auch viel Spass. Wünsche dir auch eine schöne Zeit – Rauhnächte: bloss nicht arbeiten!
LG, Kirstin