Transfette, Allergene, krebserregende Substanzen – kaum haben die Hersteller ein Problem ihrer Margarine gelöst, taucht ein neues auf
Die Marge stimmt
Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks isst lieber Butter als Margarine. Sie muss es wissen, ihre Doktorarbeit heißt Die Margarineindustrie am unteren Niederrhein im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Tatsächlich lässt sich am Beispiel des Butterersatzes der Aufstieg der Lebensmittelindustrie gut nachvollziehen. Unilever, der drittgrößte Lebensmittelkonzern der Welt, startete 1888 mit einer Margarinefabrik im niederrheinischen Kleve. Nach der Fusion mit einem weiteren Hersteller entstand 1927 die Margarine Unie. Drei Jahre später vereinigte man sich mit der Seifenfabrik der Lever Brothers aus Liverpool. Warum war das clever? Rohstoff für beide Produkte ist Palmöl. Nach der vorherrschenden Wirtschaftslogik gilt bekanntlich: Je größer die Nachfrage, desto niedriger der Preis. Unilever, in Deutschland vertreten mit den Marken Rama, Sanella, Bertolli, du darfst, Lätta und Becel, betreibt eigene Palmöl-Plantagen in Afrika, kauft aber vor allem in Indonesien und Malaysia ein. Nach eigenen Angaben 1,4 Millionen Tonnen Palmöl und 0,2 Millionen Tonnen Palmkernöl pro Jahr, ungefähr 3% der globalen Produktion (was der Hunger nach Palmöl für den Regenwald und seine Bewohner bedeutet, siehe Links unten).
Nicht ohne meine Dampfmaschine
Neben aussereuropäischen Rohstoffquellen {aka Kolonien} waren die Erfindung der Dampfmaschine und die Entdeckung der organischen Chemie {Justus von Liebig} Treiber einer industrialisierten Lebensmittelwirtschaft. Einen weiteren Schub lieferten Kriege. Die Margarine wurde auf Auftrag des kriegslüsternen Napoleon III (1808-1873) entwickelt. Industrialisierung und Landflucht hatten seinerzeit die Butterpreise in die Höhe getrieben. Napoleon suchte ein kalorienreiches Streichfett für die Soldaten. Das weiß glänzende Gemisch, nach dem griechischen Wort für Perle, Margarine genannt, bestand jahrzehntelang aus Rindertalg und Magermilch. Es wurde so ununterscheidbar von Butter vermarktet, dass der deutsche Kaiser Wilhelm 1897 eigens ein Gesetz erließ, um Original und Fälschung durch Form und Verpackung voneinander abzugrenzen. Wegen der Seeblockaden im ersten Weltkrieg und der daraus resultierenden Rohstoffverknappung sank die Kriegsproduktion von Margarine. Aber es gab andere Ersatzstoffe. Im Oktober 1917 veröffentlichte das Kriegsministerium eine Liste mit 10 200 Surrogaten: darunter 837 x Wurstersatz, 511 x Kaffee-Ersatz, 1000 unterschiedliche Suppenwürfel, 600 Saft-, Bier-, Limonaden-Imitationen.
Kritiker treten auf den Plan
Schüler lernen die Herstellung von Margarine im Chemieunterricht. Im Kern des Prozesses, bei dem unter anderem Wasserstoff, Katalysatoren, Emulgatoren, Druck, Dampf und Kälte benötigt werden, steht die Umformung der Fettmoleküle, heute meist aus Pflanzenölen. Durch ihre Prozessierung werden sie gehärtet und haltbar gemacht. Ob die künstlich erzeugten Strukturen der menschlichen Gesundheit zuträglich sind, ist umstritten. Wurden zunächst der hohe Wassergehalt, Farbe und Geschmack bemängelt, waren es in den 1950er Jahren die in der Margarine gefundenen Transfett-Säuren. Fette aus Karzinomgeschwulsten und Poly-Öle hieß der letzte Artikel, den Dr. Johanna Budwig im Fachmagazin »Fette und Seifen« 1952 noch veröffentlichen durfte. Sie hatte in unzähligen frisch operierten Krebstumoren industriell veränderte Fettsäuren gefunden und vor ihrer Herkunft aus Margarine gewarnt. Als Leiterin eines angesehenen Fettforschung-Instituts war sie damit unhaltbar. Budwig wurde entlassen und war jahrzehntelang in Rechtstreitigkeiten mit der Margarine-Industrie verstrickt (s. Links unten).
Heute ist es der Glycidol-Fettsäure-Ester
Wie bei vielen anderen Imitaten und Surrogaten trat die Industrie die Flucht nach vorn an. Fortan war Margarine DAS Gesundheitsprodukt N°1 im Kampf gegen Cholesterin. Probleme bereitete allerdings das zur Katalyse verwandte Metall Nickel, ein Allergen, welches man in Spuren trotz Filterung in der Margarine nachwies. Es wurde durch Natriummethanolat ersetzt. Gleichwohl scheint noch immer etwas mit der Margarine nicht zu stimmen: Seit 2010 stehen ihre Glycidol-Fettsäure-Ester im Fokus der Kritik. Jürgen Stellpflug, Chefredakteur von Öko-Test, sagt: »Man muss feststellen, dass es immer wieder neue Probleme mit der Margarine gibt, weil es eben ein Industrieprodukt ist. Manchmal hat man das Gefühl, die Hersteller lösen das eine Problem, handeln sich damit aber das nächste ein.« Das Bundesinstitut für Risikoforschung hat mit der näheren Erforschung begonnen. Der Nachweis von Glycidol-Fettsäure-Ester konnte erst vor kurzem erfolgen, weil es zuvor noch keine dafür geeigneten Labor-Methoden gab.
Was tun?
In vielen veganen Rezepten wird auf Margarine gesetzt. Sie sollte zumindest von Bio-Herstellern stammen, obwohl beispielsweise auch Rapunzel-Margarine in Teilen umgeestert oder desodoriert ist. Als Brotaufstrich lässt sich Margarine ohne weiteres durch ein Nussmus oder ein calciumreiches Sesammus ersetzen. Sie sind vergleichsweise unverarbeitet und naturbelassen. Größte Quelle von Zieh-, Schmelz-, Back- und Shortening-Margarine ist allerdings das gelegentlich verführerisch duftende Convenience-Food {Le Crobag und Konsorten} – ich würde es meiden.
Und hier die Links:
Ein aktuelles, wie üblich reißerisches Munchies-Statement »Margarine will dich töten«
Die Zerstörung des Regenwaldes schreitet voran – Unilever hält sich nicht an Zusicherungen – ist der Runde-Tisch nichts als Greenwashing?
Wissenswertes über die Fettforscherin Dr. Johanna Budwig
Wikipedia über: Desodorierung, Hydrierung (bis zur Margarine etwas nach unten scrollen), Umesterung, Natriummethanolat
Dr. Barbara Hendricks gibt »Dem Westen« ein Interview
Veröffentlicht am 19.05.2015