Quijote-Kaffee ist ein erfolgreiches Kollektiv, das aus eigenen und den Fehlern anderer gelernt hat

Beim »Effective Grower Share egs« weltweit die Nummer eins
Beim »Effective Grower Share« Nummer eins
Jeder Kauf ist eine politische Entscheidung. Wer über seinen Konsum die Welt verändern will, schaut deshalb genauer hin. Beim Kaffee ist der »Effective Grower Share« (egs) ein Kaufkriterium. Der Wert besagt, wieviel Geld vom Verkaufspreis bei den Erzeugern hängen bleibt. Quijote-Kaffee, Importeur und Rösterei aus Hamburg, belegt beim egs weltweit den ersten Platz. Das Kollektiv zahlt den kooperierenden bäuerlichen Kleinbetrieben zwischen 32 und 37 % des Verkaufspreise – sehr viel mehr, als üblich ist.
Quijote: in vielerlei Hinsicht spektakulär
In der Branche ist Quijote-Kaffee berühmt: als Firma, die trotz – oder wegen? – antikapitalistischer Prinzipien Massstäbe in puncto Fairness und Preis-Leistungsverhältnis setzt. Um herauszufinden wie das geht, treffe ich »pingo« Andreas Felsen zum Interview. Ich will ganz konkret wissen, wie man für schwierig bis unmöglich realisierbar geglaubte Ideale der französischen Revolution (Gleichheit, Brüderlichkeit) aufs heutige Wirtschaftsleben übertragen kann. Der 43-Jährige ist gelernter Buchhändler und hat sich zurzeiten der Bauernrevolution in den 1990er Jahren im mexikanischen Chiapas mit Verteilungskämpfen und Menschenrechtsfragen beschäftigt. Später war er Mitglied des Kollektivs Café Libertad und hat dabei erlebt, wie man es nicht macht.
»Wir müssen mal ein paar Sachen verbessern«

Langjährige Kollektiv-Erfahrung: »pingo« Andreas Felsen, Kaffeeröster und -importeur
Reformwarenblog: Man kann eigentlich nicht behaupten, dass ihr irgendwelchen linken Spinner seid…
Pingo: Kann man natürlich sagen, aber ob es gerechtfertigt ist, ist die Frage. Wir haben den klassischen Ansatz des fairen Handels ein bisschen modernisiert, indem wir geguckt haben, was sollte er ursprünglich bewirken und weswegen ist es überhaupt dazu gekommen. Und dann haben wir gedacht, da müssen wir mal ein paar Sachen verbessern – wie zum Beispiel höhere Garantiepreise zahlen für die Produzenten….
Wieviel zahlt ihr?
Wir finanzieren zu Beginn der Ernte 60 % der vereinbarten Menge per zinsfreier Vorauszahlung, damit die Ernte ohne finanziellen Stress eingebracht werden kann. Pro Libra Rohkaffee zahlen wir 2, 83 Dollar. Das sind 454 Gramm, die internationale Maßeinheit im Kaffeehandel. Im fairen Handel ist man dagegen bei 1,52 Dollar stehengeblieben, leider, auf einem sehr niedrigen Maß.

Bio und fairer gehandelt als im klassisch missionsorientiertem »Fairen Handel«
So wenig Bürokratie wie möglich
Fehlen deshalb auf Quijote-Packungen einschlägige Siegel?
Alle unsere Rohkaffees stammen aus kontrolliert biologischen Anbau – mit Ausnahme der beiden ecuadorianischen Robustakooperativen. Die sind zu klein, um sich zu zertifizieren, bauen aber genauso ökologisch an. »Ökologischer Anbau« und »fairer« Handel sind für uns selbstverständlich. Unsere Kaffees übertreffen beide Kriterien bei weitem. Wir benötigen keine Siegel, Quijote-Kaffee verkauft sich sowieso. Außerdem sparen wir bürokratischen Aufwand und verschandeln unsere schönen Päckchen nicht mit hässlichen Logos.
Ihr habt etliche Arbeitsprinzipien festgelegt, die man online einsehen kann. Darunter finden sich auch utopisch wirkende Selbstverpflichtungen wie Einstimmigkeit, Verbot der Lohnarbeit oder vertikale Arbeitsteilung. Wie funktioniert das im Alltag? Fangen wir mit der Einstimmigkeit an…
Funktioniert nur gut, wenn du viel miteinander kommunizierst. Wenn nicht, klappt’s nicht. Dann gibt es persönliche Eitelkeiten und die Leute fangen an, beleidigt zu sein und Sachen zu blockieren. Wir haben Strukturen, die Kommunikation fördern: täglich eine Arbeitsbesprechung und eine wöchentliche Vollversammlung. Auf der wöchentlichen Vollversammlung beginnen wir mit einem sogenannten emotionalen Plenum, wo zum Beispiel besprochen wird, was nervt mich und wie geht’s mir. Das sind eingeübte Kommunikationsstrukturen, auf deren Basis ein gutes und sensibles Miteinander möglich ist.
»Einer muss kochen«

Dienstplan von Quijtote-Kaffee Anfang September 2016
Nun zum Verbot der Lohnarbeit…
Wir haben in einer internen Vereinbarung unseren Lohn auf den hamburgischen Durchschnittslohn* limitiert und dürfen darüber hinaus keine Gewinne machen. Fallen dennoch Gewinne an, so müssen diese reinvestiert oder gespendet werden. Im Falle von Lohnarbeit gibt es dennoch eine Ausnahme. Sie betrifft die Arbeitszeit von Aushilfen. Lediglich 5 % der Gesamtarbeitszeit bei Quijote-Kaffee darf durch Aushilfen geleistet werden – etwa im Krankheitsfall. Aushilfen zahlen wir das Gleiche wie den Mitgliedern des Kollektivs und auch jenen, die sich in der bis maximal 18 Monate dauernden Kollektivanwärterschaft befinden und ein sozialversicherungspflichtiges Gehalt beziehen. Wir verdienen alle das Gleiche.
…und zur vertikalen Arbeitsteilung…
Teilweise ist es etabliert wie wir arbeiten und teilweise gibt es für alle verbindliche Dienstpläne für Sachen wie Abwaschen, Putzen, die Maschinen in der Rösterei reinigen und dergleichen. Mittags muss zum Beispiel immer einer kochen und die anderen müssen es essen … (lacht) … da machen wir keine Unterschiede.
Scheitern ist wichtig
Euren internen Vertrag kann man im Internet einsehen. Er zeigt, wie professionell, verbindlich und strukturiert ihr vorgeht. Das kommt aber nicht von ungefähr, oder?
Vor dem Start 2010 stand die intensive Vorbereitungsphase mit meiner damaligen Partnerin Steffi Hesse. Uns war von vornherein klar, dass es ein Kollektiv sein muss. Aus meiner Zeit bei Café Libertad brachte ich bereits entsprechende Erfahrung mit. Ein Großteil unserer anderthalb Jahre währenden Vorbereitung haben wir in die Analyse des Scheiterns von Kollektiven gesteckt. Es war vielleicht sogar der wesentliche Teil der Vorbereitung. In Hamburg ist zum Beispiel die sehr interessante Seite Kunst des Scheiterns hilfreich.
Ihr habt Beratung in Anspruch genommen…
Jede Menge. Zum Beispiel auch über das Berliner Kollektiv Betriebe, über die man mit dem AGB, das steht für Arbeitsgemeinschaft Beratung, Kontakt aufnehmen kann. Wichtig für unsere Vorbereitung war auch die Internetseite Ohne Chef.org, die von der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft FAU betrieben wird.
»Wir haben kein ökonomisches Interesse an Wachstum«

Alle Parnter von Quijote-Kafee arbeiten bio – die kleineren sind jedoch aus Kostengründen nicht immer zertifiziert
Nach sorgfältiger Vorbereitung und mittlerweile sechs Jahren Firmenpraxis, wo steht Quijote heute?
Wir sind seit Anfang des Jahres konsolidiert, und konnten dank neuer Abläufe und sehr guter neuer Kollegen unsere Effizienz nochmal steigern. Mit 52 Tonnen, die wir pro Jahr rösten, haben wir unser Limit erreicht. Soviel müssen wir rösten, um den Hamburgischen Durchschnittslohn zu erzielen. Darüberhinaus haben wir kein eigentlich kein ökonomisches Interesse an einem Wachstum. Wollen wir jedoch in Zukunft eine weitere Person ins Kollektiv integrieren , und das wollen wir, dann müssen wir noch mal um 6 oder 7 Tonnen wachsen, um den Durchschnittslohn auszahlen zu können.
Nachfrage und Geschäftserfolg gäben das her?
Unsere Hauptvertriebswege sind zu 50 % Gastronomie und zu 50 % Webshop. Um von uns beliefert zu werden, müssen sich die Gastronomen bewerben. Von etwa 50 Gastronomen, die bei uns anfragen, ob sie unseren Kaffee haben dürfen, akzeptieren wir einen. Da sind wir sehr strikt.
Welchen zuletzt?
Yellow Bird Coffee – ein exzellentes Cafe in Bremen. Ehemalige Starbucks-Angestellte, die daraus gelernt haben, was funktioniert und was nicht Wenn Leute dermaßen gut sind wie die, dann gibt es eine Chance unseren Kaffee zu bekommen.
»Quijote-Kaffee nur für Reiche finden wir doof«

Manche Importe werden gemeinsam mit befreundeten Spezialitätenröstern gestemmt
Deine persönliche Lernkurve?
Bei Café Libertad hatten wir zum Beispiel keinen Binnen-Vertrag, den ich für viel wichtiger halte als die Suche nach einer Rechtsform. Meist halten sich die Leute meiner Meinung nach sinnlos lange mit der geeigneten Rechtsform auf, statt sich gemeinsam und genau zu überlegen, was wollen wir überhaupt, wie wollen wir das und das auch schriftlich in Form eines internen Vertrags festzuhalten. Dort steht zum Beispiel, welche Rechte und Pflichten jede und jeder hat, und auch wie gehen wir miteinander um, wenn‘ s zu Streitigkeiten kommt.
Zum Abschluss in dürren Worten die Quijote-Kaffee-Philosophie?
Uns kommt es vor allem darauf an, kein Chef und kein Sklave zu sein. Für mich das Wichtigste. Ich will nicht in irgendeiner Kaffeerösterei arbeiten, wo mir irgendjemand sagt, was richtig ist oder um mal richtig viel Geld zu verdienen. Sondern in einer Kaffeerösterei, wo ich mich mit meinen Kollegen von vornherein darauf verständige, was wir für richtig halten und das konsequent umsetzen. Wir haben einerseits als Unternehmen keine Gewinnerzielungsabsicht über unsere Löhne hinaus und andererseits wollen wir keine soziale Selektion unserer Kunden über den Preis. Quijote Kaffee nur für Reiche finden wir doof. Für mich persönlich ist Kaffee ein Luxusprodukt. Ich wünsche mir, dass er bewusst konsumiert wird. Deshalb denke ich auch, dass die Preise, die wir nehmen, vertretbar sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
*z.Zt. beträgt der hamburgische Durchschnittslohn 4037 Euro/brutto

Quijote-Kaffee: auch sortenreine Espressos und Filterkaffees
Und hier die Links:
Lesens- und nachahmungswert: der interne Vertrag von Quijote – und bei der Gelegenheit landest du auch gleich auf der Seite und im Webshop
Zum Download: Wofür Quijote-Kaffee steht (wasmachtquijoteaus)
In Fachkreisen »Benchmark« genannt: hier verschaffst du dir einen Überblick über egs und GGP (Green Price per Pound)
Quelle Statista: Durchschnittslöhne, differenziert nach Bundesländern und Geschlecht
Hier ein paar Links zu Kaffee-Röstereien und Kollektiven, mit denen Quijote freundschafltich verbunden ist – wie zum Beispiel Café Libertad , Playground Coffee, Flying Roasters, El Rojito, onetake coffee
Veröffentlicht am 11.09.2016