Übersäuerung, ja, gibt es – aber es zeichnen sich verwirrend unterschiedliche Heilslehren ab
Wohl kaum etwas wird so bekämpft, wie die Lehre von der Übersäuerung. Inzwischen hat sich die Fachwelt aber geeinigt, dass trotz aller Skepsis eine ernährungsbedingte, sogenannte latente Azidose existiert. Die Skepsis rührt daher, dass der menschliche Organismus über genügend Selbststeuerungsmechanismen verfügt, um die bei der Verdauung anfallenden Säuren zu neutralisieren und auszuleiten. Wer jedoch ein Übermaß an Süßigkeiten, Brot, Pasta, Fleisch, Cola und Kaffee zu sich nimmt, überfordert diese Systeme. Die körpereigenen Basen puffern die Säuren aus der Nahrung nicht mehr ausreichend ab, stattdessen werden sie im Bindegewebe, in Gelenken oder Organen abgelagert und führen zu degenerativen Krankheiten wie Arthrose oder akuten wie Herzinfarkt. Ein schleichender Prozess, den man mit etwas Ernährungsbewusstsein stoppen könnte, wäre da nicht ein Problem: die Mehrzahl der von uns geliebten Lebensmittel gehören zur Klasse der Säurebildner – Wein! Wurst! Weihnachtskekse!
Die zweite Meinung
Zitrusfrüchte! Essig! Vollkornbrot! fügen Milly und Paul Schaub der Liste unheilvoller Nahrungsmittel noch hinzu – und stiften damit Verwirrung. Auch die Heilkost der beiden Schweizer beruft sich auf eine ernährungsbedingte Übersäuerung. Nur behaupten sie, dass Zitronen und Essig eben nicht vom Körper »basisch verstoffwechselt« werden, sondern als genuine Säuren à la longue gesehen den Knochen Kalzium entziehen. Während bei den meisten Säuren-Basen-Verfechtern das Vollkornbrot gerade noch durchgeht, gilt Getreide in der Kartoffel-, Ei- und Fleisch-betonten Schaubkost als das Übel schlechthin; womit sich eine interessante Schnittmenge zu modernen Heilslehren wie Low-Carb und Paleo ergibt.
Was lernen wir daraus?
Erst die Sünde, dann die Reue: Auf die Dezember-Hefte mit üppigen, säurebildenden Weihnachtsmenüs erscheinen im Januar die Diät-Magazine. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Einen schnellen Ablass schlägt der Mannschaftsarzt des 1.FC Bayern Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt vor. Was also tun, wenn über Weihnachten das Bindegewebe übermäßig »versulzt» wurde?
Hier eignet sich ideal der spontane Entschlackungstag. Trinken Sie an diesem Tag mehrere Liter einer Basenbrühe, dazu kochen Sie zwanzig Minuten lang drei Kartoffeln, zwei Karotten, ein Stück Knollensellerie mit einem Liter Wasser und essen nichts Festes.
Natürlich kann man es halten, wie Müller-Wohlfahrt im Kampf gegen den Winterspeck (hier im Interview mit Welt am Sonntag). Man kann aber auch einen anderen Weg einschlagen und Säure Säure und Base Base sein lassen. In den Ohren von Gläubigen klingt das fahrlässig. Lemmy Kilmister etwa hat es so gemacht und ist er nicht – schwer an Diabetes und Krebs erkrankt – mit nur 70 Jahren gestorben? Die Gegenfrage muss erlaubt sein: Ist es etwa gesund, Wohlschmeckendes stets mit dem Hintergedanken zu konsumieren, es führe zum Tode? Ganz sicher nicht!
Iss doch, was du willst
Das Dumme ist, dass man als Normalmensch die Lehren von Ärzten, Chemikern oder Herstellern gesunder Produkte niemals wirklich überprüfen kann. Man muss sie glauben! Irrwege sind vorprogrammiert, zumal allen gemeinsam ist, einem kapitalistischen Verwertungsinteresse zu unterliegen. Der einzige Weg, sich nicht auf mal so, mal so begründete ernährungsphysiologische Holzwege zu begeben, ist es, die Signale seines Körpers richtig zu interpretieren. Du weißt schon: sattsein spüren, sich ausgewogen ernähren, nicht aus Frust essen und so weiter – aber auch das klingt irgendwie unangenehm nach zehn Geboten….
Und hier die Links:
Wie interpretiere ich meinen Tages-Urin-Profil? Zum Beispiel so
Woran wir sterben – aufschlussreiche Grafik von Zeit online
Lemmy, R.I.P., kürzlich verstorbener Frontmann von Motörhead über seine Ernährungsgewohnheiten
Veröffentlicht am 08.01.2016
Also hier Lemmy Kilmister aufzuführen und zu behaupten er hätte nach Schaub gelebt (oder auch nur ansatzweise in diese Richtung) ist ja mal absolut daneben. Bißchen Recherche bei Google zeigen dass er 40 Jahre lang an seiner Tagesration Jack Daniel’s-Cola, Speed und Zigaretten festgehalten hat. Vor seinem Tod, sagte sein Manager, habe Lemmy seine Laster etwas runtergeschraubt, jedoch immer noch an die zwei Flaschen Wein pro Tag getrunken. Gegessen hat er kein Gemüse außer Kartoffeln und grünen Bohnen, daneben kalte Spaghetti, kalte Pommes und kaltes Steak. Unfassbar dass das in dem Beitrag einfach so behauptet wird. Das ganze Interview ist nachzulesen auf Vice.