Hype um Knochenbrühe: Wo stehen die Broth-to-go-Start-ups heute?

Brühe aus Markknochen und Ochsenschwanz vom Rind – selbstverständlich bio
»Souping ist das neue Juicing«
Haha, reingefallen! In Scharbeutz gibt es noch gar keinen Shop mit Knochenbrühe-to-go. Alternative fact, baby! Aber in New York, Berlin oder München gibt es sie schon: Start-ups im Trinkbüdchenformat, die Knochenbrühe im Pappbecher über den Tresen reichen. Nicht gerade billig, diese Kraftsuppen, aber dafür winken herrliche Haut, elastische Knorpel, ein ausgeglichener Mineralstoffhaushalt und, und, und. Es spricht sich halt rum: Souping ist das neue Juicing. Elle wußte das schon vor zwei Jahren. Aber jetzt weiß es auch der Kopp-Verlag und damit ist die Wunderbrühe, wahlweise Faltenkiller, Fleischtee, Kollagen-Power oder Hot Stuff ganz unten, in den Tiefen der Gesellschaft angekommen. Man muss kein Prophet sein, um einen Nachahmer des New Yorker Take-outs brodo in Scharbeutz … aber ich schweife ab.
»Wie gesund ist der Fleischtee wirklich?«
An allem Schuld ist Marco Canora. Als Autodidakt mit italienischen Wurzeln hat der Koch den Hype vor wenigen Jahren losgetreten. In Berlin spinnen die Jungs von Brox das Storytelling weiter. Von wegen Nose-To-Tail-Prinzip, Paleo-Slow-Food und was es sonst an Untermalung braucht, um im Hype-Segment über die Runden zu kommen. Dabei erhalten sie sogar freundliche Unterstützung von Galileo TV, dem Online-Wissensmagazin von Pro Sieben. Deren Redakteure fragen »Wie gesund ist der Fleischtee wirklich?« und bieten in ihrem Beitrag interessante Einblicke in die Produktionsweise von Brox. Zum Beispiel werden Knochen vom bayrischen Weiderind von einem Subunternehmer vor Ort erst geröstet und zum Teil 18 Stunden lang geköchelt – ähnlich übrigens wie in China, wo man traditonell Kraftsuppen für werdende Mütter auf den Herd stellt, sobald die Wehen einsetzen …. aber ich schweife schon wieder ab.

Maillard-Reaktion nach dem 45 minütigem Rösten im Ofen bei 200 ° – verleiht Geschmack
Deutsches Suppeninstitut nervös
In München macht sich die Truppe der Jarfood GmbH mit Detox-Knochenbrühen unter der Marke jarmino auf den Weg. Wenn das so weiter geht, verlieren die Platzhirsche der Fertigfonds dann Marktanteile? Das Deutsche Suppeninstitut hyperventiliert ist bereits leicht nervös. In einer schmallippigen Stellungnahme zum »Hype um Knochenbrühe« warnt die Initiative der industriellen Suppenhersteller vor unhaltbaren Werbeversprechen. Wissenschaftlich bewiesen sei es nämlich ganz und gar nicht, das mit dem Detox, dem Immunboost und dem Faltenkillen. Auch wenn es sich von Herzen über die Renaissance von Omas oder Muttis guter Kraftbrühe freue, erklärt das Suppeninstitut: »In der Form, wie es in der Suppe vorliegt, kann der menschliche Körper das Kollagen gar nicht aufnehmen.»
Aus Knochen für Knochen
Womit wir zum Kern der Botschaft vorstossen. Unsere Altvorderen nannten Knochenbrühe wegen des enthaltenen Kollagens auch »leimhaltig«. Alte Kulturen nutzten die zugfesten Eiweißverbindungen tierischen Kollagens als Klebstoff im Holzbau. Tatsächlich sind Sude aus Knochen ziemlich gehaltvoll. Um das Kollagen und Mineralstoffe zu lösen, geben Köche gern einen Schuss Apfelessig ins Kochwasser. Beim Kochen gehen neben Fett und Mark auch die im Knorpel enthaltenen Glucosamine und Chondroitine in die Bouillon über. Glucosamine sind sogenannte Aminozucker. Genau wie die Chondroitine findet man sie im Gelenknorpel. Dort sorgen sie für dessen Elastizität. Beide sind in Kombi-Präparaten gegen Arthrose enthalten. Deren Wirkversprechen beruht auf der Vorstellung, dass der Kapselinhalt nach dem Verzehr zu den Gelenken geschleust und dort eingebaut wird. Ob das überhaupt möglich ist, konnte bisher noch kein Wissenschaftler beweisen. Doch zumindest zeugen Studien von einer gewissen Schmerzlinderung bei Gelenkleiden. Aus welchem Grund? Wie immer, wenn der Wissenschaftler vor einem Rätsel steht: Placebo-Effekt.

Das herausgelöste Kollagen macht eine Brühe nach dem Erkalten gelatinös
Knochenbrühe: irgendwas muss dran
Genau das ist das Schöne am Placebo-Effekt: Er nutzt die Kraft der Suggestion. Kraftsuppen haben es da nicht schwer. Schon seit Jahrtausenden stellt der Mensch sie her. Ein Sud aus Rinder-, Geflügel-, seltener aus Schweineknochen und bisweilen sogar aus Fischgräten, bildet den Grundstock für Fonds, Suppen und Saucen. Eigentlich wäre das kaum einer Erwähnung wert, wäre Knochenbrühe nicht weitgehend aus der modernen Küche verschwunden. Denn dort wird kaum noch gekocht. Selbst die kinderleichte Herstellung einer Brühe scheint zu mühsam. Offenbar kostet es zuviel Zeit, einen Schmortopf mit Knochen 45 Minuten im Ofen bei 200 Grad zu rösten und anschließend mit reichlich Wasser bedeckt stundenlang bei kleiner Flamme köcheln zu lassen. Dann lieber im Pappbecher-to-go.
Meanwhile in Übersee
Während ihr Stern in Berlin gerade aufgeht, verblasst der Stern der Brühe in New York möglicherweise schon wieder. Dort, so berichtet Business Insider, habe man vor dem brodo im East-Village keine Menschenschlange mehr entdeckt. Sondern nur eine einzige Kundin. Eine Mutter mit Kind. Aber auch das kann natürlich ein alternativer Fakt sein. Wir bleiben dran…
Und hier die Links:
Ein schöner Beitrag von Gourmetguerilla mit Rezept – auch sonst übrigens ein lesenswerter Blog
Eine Brühe kocht man selbstverständlich nur aus Bio und regionalen Zutaten – so wie RegioBio es mit dieser Hühnersuppe vormacht
Die Kraftsuppe zur Stärkung der Wöchnerin basierend auf dem Wissen der traditionellen chinesischen Medizin TCM findest du hier
Veröffentlicht am 28.01.2017
Sehr schön zu lesen. Habe einst mit meiner Großmutter Knochen ausgelassen für Markklösschen…