Hinter die Kulissen der Lebensmittelherstellung schauen, da fängt man am besten ganz vorn an – beim Gewerketag im Museumsdorf
Wieder was gelernt
»Guck mal, Mami: Lämmchen!«, ruft ein etwa vierjähriges Mädchen und zeigt auf Julia und Motte. »Sehen Sie, genau deshalb macht so ein Tag Sinn«, sagt eine junge Frau in Bauerntracht, die neben den beiden Kühen steht. Heute, am Gewerketag im Hamburger Museumsdorf, soll Julia schaugemolken werden. Dafür hat die junge Frau fast vier Wochen geübt. Beide mussten sich erstmal an den Handbetrieb gewöhnen. Knapp 6 Minuten dauert es, Julia maschinell auszumelken. Per Hand würde das wie lange dauern? Schulterzucken im Publikum. Während wir rätseln, ruft ein Mann von der Weide aus, dass Julia eine Milch-und Fleischkuh sei. »Eine konventionelle Milchkuh, die am Tag bis zu 60 Liter geben muss, wäre viel klappriger«, meint er. »Die würde den Weidegang gar nicht schaffen.« Ein Weidegang sei aber für diese Milchkühe Pflicht. Mitsamt zwei Kälbchen anderer Mütter wurden sie für den heutigen Tag vom Hamburger Bio-Hof Wohldorf ausgeliehen. Abends werden sie wieder zurückgebracht. Julia kommt dann noch mal an die Melkmaschine. Damit es sich nicht entzündet, muss ihr Euter ganz leer sein.
Baujahr 1952
In einer 25 l Kanne landet die frische Milch in einer Scheune. Dort werden Rahm und Magermilch mit einer handgetriebenen Zentrifuge voneinander getrennt. Zwei kleine Jungs kurbeln was das Zeug hält. Auf wie viel Umdrehungen sie kommen, signalisiert eine eingebaute Klingel. Schaffen sie es auf die erforderlichen 10 000 , ertönt ein atemloses »Bing-Bing-Bing«. Momentan klinge das eher wie 800, zwinkert der Mann an der Zentrifuge. Vielleicht damit der Vater beim Anfeuern nicht noch heiserer wird, löst er sie ab. Schon fließt es aus zwei Rohren: rechts die fettarme Milch, links der Rahm – die Zentrifugalkräfte pressen das Magere nach innen und das Fette nach außen. Von wann die Maschine stammt? »Die hier wurde 1952 gebaut», sagt der Museumspädagoge. »Ik hev sowat aber schon bi de KLV gesehen als ik kleen wor», sagt ein Mann mit strahlend blauen Augen, Hörgerät und schneeweißem Haar. KLV? »Kinderlandverschickung!« Das muss gegen 1930 gewesen sein. »Für den Eigengebrauch sind die Zentrifugen noch immer im Umlauf“, sagt der Museumspädagoge. Schwer zu sagen wie viele es sind. Wahrscheinlich wenige hundert. Wenn überhaupt.
Nicht wenige: zart besaitet
Ein Hauch von Manufactum und »Country & Garden« liegt in der Luft. Es ist Sonntag, strahlender Sonnenschein, viele Familien sind mit mindestens drei Generationen vertreten. Bei Anblick des Schafscherers, der einen Bock resolut zwischen die Beine geklemmt hat und ihm in langen Bahnen die Wolle elektrisch abstreift, halten die Zuschauer die Luft an. Als bei dem zappelnden Tier auch noch die Klauen geschnitten werden sollen, stöhnen einige auf und bedecken die Augen. Nicht dass heute nacht noch Freddy Krueger im Traum erscheint. Dann lieber zu den Bienen. Die sind schön hinter Glas. Tatsächlich könnte man vor der Brutwabe stundenlang meditativ verharren. Schlüpft da etwa eine Drohne? Wo ist die Königin? Ach, vor kurzem abgehauen. Bienenwachs kann man kauen?! Früher das Kaugummi des kleinen Mannes? Bienenkörbe werden aus Fichtenwurzeln – geflochten, oh, pardon, gewunden? Tausend Fragen, tausend Antworten. Mit viel Geduld widmen sich die Mitglieder des Museumsvereins, erkennbar an ihren schwarzweißen Trachten, den neugierigen Menschen – und können in der Kürze der Zeit doch nur die Spitze ihres eisberghaften Wissens vermitteln.
Es geht auch ohne Thermometer
Und dann erst das Brotbackhaus. Schon seit Stunden brennen hier Scheite runter zu Glut. Nicht nur die gemauerte Kuppel, sondern auch Boden und Wände des Ofens müssen gleichmäßig heiß werden – schätzungsweise 500°C. Feuerwarte sind ein Chemiker und ein Mann aus der Entsorgungswirtschaft. Gegenüber verkauft ein Bäckermeister duftende Museumsbrote, Butter- oder Rharbarberkuchen. Für das Schaubacken hat er zwei großen Wannen mit Brotteig und Bleche mit Kuchen vorbereitet. Aber noch ist der Ofen zu heiß. »Bei 400°C könnte man Pizza backen, bei 300°C erste Butterkuchen«, sagt der Chemiker. Pro Stunde verliert der Ofen 100°C, sobald die glühende Kohle auf eine Schubkarre geladen, der Ruß ausgefegt und das Ofeninnere mit einem feuchten Mob ausgewischt sind. Bis er auf die richtige Brotbacktemperatur von 250°/275°C abgekühlt ist, dauert es mindestens zwei bis drei Stunden. Woher weiß man, wann es soweit ist, hier ist ja nirgendwo ein Thermometer?! Wortlos greift der Chemiker in eine Tüte und wirft eine Handvoll Mehl in den Ofen. »Wenn das anfängt zu brennen, ist es definitiv zu heiß«, sagt er. »Wenn es raucht oder streng riecht, auch.» Das Mehl raucht. Zu warm für Brot. Aber mit einem Blech Hefekuchen kann man’s versuchen. In sieben Minuten ist der knusprig braun – ein bisschen zu schnell. Also weiter warten. Das entschleunigt, so ein Brotbackhaus. Und ist vielseitig nutzbar: nach dem Brotbacken lässt sich noch Obst dörren, Holzbock unschädlich machen, Holz trocknen, Eintöpfe schmoren, Suppen kochen…Wo ist die Holzkohle hin? »Auf dem Misthaufen, hinten bei den Hühnern«, sagt der Entsorgungsexperte. »Aahh…Terra preta…oder nicht?« Aber das mal so nebenbei zu erklären, dass geht jetzt nicht. Manche Zuschauer sind eh am Rande der Aufnahmekapazität. Mehr Interessantes also von Honig, Wolle, Milch und dem dazugehörigen alten Handwerk – bald in diesem Blog.
Weitere Bilder findest du übrigens unter Fotos gucken
Und hier die Links:
Infos zum Museumsdorf in Hamburg Volksdorf
Wohldorfer Hof bei Nordschmecker
Wikipedia zu Terra preta
Veröffentlicht am 08.06.2015
Mmmmhhhh frisches warmes Brot mit Butter und Tomate, mehr braucht man nicht für ein kleinen Glücksmoment